Galerie Tschudi Zuoz, Zuoz, 18. Juli – 26. September 2020.
Aktuell, im Sommer 2020, rückt die Galerie Tschudi drei Künstler ins Zentrum: Dan Walsh, Hämisch Fulton & Martina Klein.
- Dan Walsh, Aftermath
Text der Galerie: „Galerie Tschudi freut sich, die Ausstellung AfterMath von Dan Walsh anzukündigen. Auch in seinen jüngsten Arbeiten setzt Walsh die Erweiterung der dynamischen Bandbreite seines Formvokabulars fort: von einem rigorosen Minimalismus bis hin zur pluralistischen Kultur des Textildesigns. Walsh, der sich selbst als „Maximalisten“ bezeichnet, treibt die Ökonomie der Mittel auf die Spitze. Die additiven, auf Maßeinheiten basierenden Prozesse, die seiner experimentell und programmatisch ausgerichteten künstlerischen Praxis zugrunde liegen, laden die Betrachtenden zur Partizipation ein, während sie sich in der illusionistischen Logik der Werke verlieren. Während die gesetzten Markierungen Teil eines größeren Ganzen werden, bleiben sie zugleich immer als einzelne Markierungen erkennbar. Bilder, die auf den ersten Blick statisch wirken, werden zu komplexen Systemen, die auf eine Vielzahl historischer Referenzen verweisen. Auf diese Weise gelingt es Walsh,
Zeit und unterhaltsame Gestaltungsmöglichkeiten auf spielerische Weise
zu markieren. Dies gilt insbesondere für die Gestaltung seiner Künstlerbücher. Vor diesem Hintergrund scheint der von ihm angestellte Vergleich seiner jüngeren Werke mit tibetischen Mandalas durchaus plausibel. Für Walsh ist das künstlerische Schaffen eine Form der Meditation, in die er die Betrachtenden miteinbezieht.
Walsh, der in Philadelphia geboren wurde, lebt und arbeitet in New York.
2019 wurde das Werk des Künstlers im Rahmen einer einjährigen, gemeinsam mit der Jan van Eyck Academie ausgerichteten Einzelausstellung im Bonnefantenmuseum, Maastricht (NL) präsentiert. Seine Werke sind in öffentlichen Sammlungen auf der ganzen Welt vertreten, darunter im Fonds National d‘Art Contemporain, Paris, im Museum of Modern Art, New York, im Art Institute of Chicago und im Victoria and Albert Museum, London. Walshs Arbeiten wurden im P.S.1 Contemporary Art Center in Long Island City, im New Museum in New York, im Centre National d‘Art Contemporain in Nizza, in der Speerstra Foundation in Lausanne, im RISD Museum of Art in Providence, im Rønnebaeksholm, Naestved, in der Villa du Parc, Annemasse und im Kunstverein Medienturm, Graz, gezeigt. Seine in limitierter Auflage erschienenen Drucke und Bücher waren Gegenstand einer Einzelausstellung im Cabinet des Estampes in Genf, Schweiz. Darüber hinaus waren seine Werke auf der Biennale von Ljubljana, Slowenien und der Biennale für zeitgenössische Kunst in Lyon, Frankreich (beide 2003) sowie der Whitney Biennale (2014) vertreten. 2016 kollaborierte er mit seiner Schwester Lexa Walsh für die Ausstellung Both Sides Now im Museum of Art des Williams College.“
2. Hamish Fulton, Walking In Relation To Everything
Text der Galerie:
Im Schatten der Atmosphäre Von Günther Vogt
„Le temps“ meint sowohl die Zeit als auch das Wetter. Hamish Fultons Arbeiten leben von dieser Art der Mehrfachcodierung, dem sowohl als auch. Der dialektische Diskurs verschwindet hinter dem dies und das, dem hier und dort. Das Messbare, die Zeit, versus dem Unmessbaren, der Atmosphäre.
Die Zeit und das Wetter zu bestimmen ist gleichbedeutend mit einer Ortsbeschreibung. Zeit und Raum widersetzen sich der Ortlosigkeit. Im Schatten der Atmosphäre findet sich der genius loci. Wie das Wasserzeichen im Papier erscheint er in Fultons Arbeiten als Text im Raum.
Wie übersetzt man diesen Massstab der Landschaft auf die beengten Raumverhältnisse eines Galerieraums? Was bedeutet die Differenz der Landschaft draussen und die Übersetzung in der Galerie konkret? Schauen wir einige Arbeiten in der Ausstellung genauer an.
„Glacial Boulder“
Eine riesige Wandarbeit, 8.50 x 2.00 Meter, direkt auf die Wand appliziert, sprengt zunächst als Landschaftsformat den Galerieraum. Vergleichbar den Panoramagebäuden in Luzern oder Thun. 360 Grad Rundumsicht, dem Format der Landschaft entsprechend muss man sich wie in der realen Landschaft bewegen um die ganze Arbeit zu sehen oder, wie bei der Arbeit «Glacial Boulder», eine grössere räumliche Distanz suchen. Kein Landschaftsmodell, keine Miniatur im Innenraum als Stellvertreter der Realität des Aussenraums. Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund lösen sich auf in der nüchternen präzisen Beschreibung einer Landschaftserfahrung. Absenz des Beschriebenen dafür Präsenz des Erfahrenen. Prosa und Poesie
„Glacial Boulder“, ein Findling, vom Gletscher geformt und weit transportiert, verfrachtet finden wir ihn in der Landschaft wie einen Zeugenstein der zehntausende von Jahren zurückliegenden riesigen Vergletscherung.
Ein geologischer Fremdling in einer nicht mehr vereisten und mineralischen Landschaft.
Die Typografie ist plakativ. Century Gothic ist der Name der Schrift. Häufig für Plakate im öffentlichen Raum in den USA und Grossbritannien verwendet. Klarheit und Offenheit zeichnen sie aus. Geometrisch konstruiert: kreisrundes O, schmales dadurch hohes U, offenes D. Signalrot ist die Farbe der Wörter, die beschreiben, was man nicht sieht. Der Subtext ist rot-schwarz auf
weiss und steht wie eine Membran zwischen der Landschaft draussen
und dem architektonischen Innen. Entlang eines unsichtbaren Rasters finden die einzelnen Buchstaben und Wörter ihre präzise Position. Sie formulieren ein dichtes Netz vielfältiger Beziehungen.
„A 15 Day Walk. Engadin Switzerland 2000“
Painted text and skyline on wall. Der Text beschreibt eine 15 tägige Wanderung. Zusammen mit der geometrisch abstrahierten Skyline entsteht ein Konzentrat der Wanderung. Quadratisches Format, mehr ein Portrait als ein Panorama.
Die dramatisch aufsteigende Topografie, abgestuft wie der Umriss eines Gebäudes, in einer horizontlosen Landschaft.
Andere Arbeiten sind noch abstrakter. Kleine Holzstäbchen umreissen die topografische Linie der Landschaft wie Buchstaben. Eine Versuchsanordnung vor oder nach dem Experiment? Ist die begangene Landschaft ein Labor, eine Ablage im Archiv oder eine Erweiterung des Künstlerstudios? Zeitraum und Dauer sind auf die Gestirne ausgerichtet. Sonnenwende. Einem Protokoll ähnlich werden oft lapidar Zustände beschrieben. Ein neuer Kompass für die erfahrene Landschaft. Zahlenbilder und Wortbilder überlagern sich, diffundieren, filtern die Wahrnehmung des Künstlers. Intention und Reflexion
Als Echos real existierender Landschaften stehen die Arbeiten Hamish Fultons stets vermittelnd dazwischen. Sie ermöglichen dem Betrachter die fortwäh- rende Schaffung neuer Konstellationen sowohl im Raum als auch in der Zeit. Walking In Relation To Everything
3. Martina Klein _gelb_
Text der Galerie:
Wahrnehmung im Lichte der Veränderung Von Lynn Kost
Im Alltag verlassen wir uns in der Regel intuitiv auf unsere Wahrnehmung. Doch das systematische Hinterfragen der Wahrnehmung hat wesentlich zur Entwicklung des menschlichen Denkens und Handelns geführt. Die Bildenden Künste tragen, neben den Wissenschaften, auf ihre Weise zur beständigen Reflexion der Wahrnehmung bei. Speziell in der Malerei ist die fortlaufende Auseinandersetzung mit ihr gut nachvollziehbar und in der Veränderung der Ästhetik deutlich erkennbar. Davon inspiriert, beschäftigt sich Martina Klein seit Jahren minutiös mit der Wirkung von Farbe, Material und Raum auf die Anschauung. Indem ihre Werke die sinnliche Empfindung und die Kontemplation gleichwertig nebeneinander setzen, ermöglicht sie den Betrachterinnen und Betrachtern ihre Wahrnehmung während der Anschauung zu reflektieren.
Klein ist klassisch ausgebildete Malerin. Sie hat das Handwerk von Grund auf erlernt. Zu Beginn ihrer Laufbahn malte sie dem Realismus verpflichtete Bilder. Rückblickend bezeichnet sie ihre Ausbildung als hervorragende Sehschule. Dabei tauchte sie so tief in ihre Gemälde ein, bis die Farben wichtiger wurden als die damit gemalten Motive. Die Faszination für das Material und die Beschäftigung mit dessen sinnlicher Erscheinung führten Klein zur monochromen Malerei und zu Grundfragen der Wahrnehmung und der Anschauung. Wie Ad Reinhardt in seinen Cartoons „How to Look“ mehrfach festhielt, fand durch die abstrakte Malerei ein grundlegender Paradigmenwechsel statt. Abstrakte Gemälde zeigen keine illusionistischen Bilder mehr, die die Malerei bei der Betrachtung zur Nebensache werden lassen, sondern sie fordern uneingeschränkte Aufmerksamkeit für das Malen, die Farbe und den Malgrund. Die Betrachtenden können ihre Wahrnehmung anhand solcher Gemälde ständig überprüfen und neu ausrichten. Sie sollen über den Vorgang des Schauens nachdenken. Denn „… Looking isn’t as simple as it looks“ 1 wie Reinhardt in diesem Zusammenhang weiter zu bedenken gibt. Er betont damit die konstitutive Rolle der Wahrnehmung der Betrachtenden für die abstrakte Malerei. Kein monochromes Gemälde wird zweimal genau gleich wahrgenommen. Die sich ständig verändernden Kontexte der Anschauung verändern ihre Erscheinung. Martina Klein untersucht mit ihren Werken genau diese Wechselwirkungen zwischen Kunstwerk, Anschauung und Kontext immer von Neuem. Dass sie dabei trotz ihrer konzeptuellen Arbeitsweise nie die emotionale Wirkung des Kunstwerks vernachlässigt, gehört zu ihren grossen Qualitäten. Denn während sie die Betrachtenden hinter die Kulissen des verschachtelten Zusammenspiels von Werkproduktion, Präsentation und Anschauung blicken lässt, offenbart sie ihnen gleichzeitig betörende sinnliche Momente.
Klein erkannte sofort, dass sie als Malerin bei der gründlichen Untersuchung der Wahrnehmung nicht um die Frage nach dem Objekt herumkommen würde.
Frank Stella hatte dies mit seinen „Black Paintings“ und den „Shaped Canvas“ bereits um 1960 unmissverständlich in den Malereidiskurs eingeführt und in einem Interview lakonisch auf den Punkt gebracht: „Jedes Bild ist ein Objekt, und jeder, der sich intensiv genug damit beschäftigt, muss sich schliesslich der Objekthaftigkeit dessen, was er macht, stellen. Er macht einen Gegenstand.“2 Donald Judd und die Minimal Art führten diese Überlegungen zur Ablehnung der Malerei und schliesslich zu einem neuen Skulpturbegriff. Viele der Arbeiten von Martina Klein haben genau diese Dekonstruktion der Malerei in ihre Einzelteile wie Supportkonstruktion (Keilrahmen), Malgrund (Leinwand, Holztafeln), Farbe und die Abhängigkeit von der Wahrnehmung und der Positionierung im Raum zum Thema. Auch wenn die Betonung der Objekthaftigkeit ihre Arbeit von Beginn weg stark prägt, so kann ihre Arbeitsweise doch nicht in der Tradition der Minimal Art gesehen werden. Klein erweist sich als unbestechliche Verfechterin der Malerei. Nicht die Überwindung der Malerei ist ihre Ziel, sondern die kohärente Untersuchung der Möglichkeiten dieses alten Mediums. Dafür knüpft sie unmittelbar bei der Farbe als Material an, womit nicht nur ihre abstrakte Erscheinung gemeint ist, sondern auch ihre physische Beschaffenheit und die sinnliche Qualität. Davon ausgehend machen ihre Gemälde die unzähligen Faktoren erlebbar, die bei der Wahrnehmung eines Gemäldes zusammenhängen: Farbe, Licht, Farbauftrag, Leinwand, Träger, Platzierung, Kontext und Veränderung. Die Betrachterinnen und Betrachter können das intuitiv während der Anschauung selbst erkennen, ohne je eine Farbtheorie oder einen kunsthistorischen Text gelesen haben zu müssen.
Farbe wird unterschiedlich wahrgenommen. Grossen Anteil daran hat ihre Struktur, die wesentlich vom Farbauftrag mit flüssiger oder pastoser Farbe abhängt. Bei sich ändernden Lichtverhältnissen zeigt sich das besonders gut. Kleins Leinwände sind alle von einem zurückhaltenden, regelmässigen Farbauftrag gekennzeichnet. Expressive Gesten und Dynamik nimmt sie zugunsten einer maximalen Strahlkraft der Farbe zurück. Wie sehr die Farbe letztlich von der Wahrnehmung des Betrachtenden abhängen bringt Klein durch die Montage der bemalten Leinwände auf gut sichtbaren Holzplatten zum Ausdruck. Wände und Boden bilden Räume und sind der natürliche Referenzpunkt für die Malerei. In der Regel werden Gemälde an die Wand gehängt und die rundum bespannten Keilrahmen schaffen eine homogene Parallelität. Doch in Kleins Fall lehnen sich die Gemälde an der eigenen Supportkonstruktion nur lose an. Die Trägerkonstruktion wird explizit sichtbar und ihre L-Form bricht mit der Vertikalität der Wand. Die Gemälde können sogar selbständig stehend auf einem Tisch, Regal oder am Boden platziert werden. Diese autonomen Gemälde borgen sich die ortsspezifischen Begeben- heiten explizit für die Dauer einer Ausstellung. In dieser Art von lockerer, temporärer Symbiose verändert sich das Empfinden für die Farbe und Stimmung von Gemälde und Raum gleichermassen. Entscheidend dafür ist aber auch, dass sich die Betrachtenden von ihren fixen Erwartungen an die Malerei befreien. Nur wer sich bewegt und unterschiedliche Blickwinkel einnimmt, kann die Gemälde erfassen. Für die Illusionistische oder gegenständliche Malerei wäre das belanglos, da der Standpunkt des Betrachtenden durch die Perspektive im Bild vorgegeben ist. Kleins monochrome Malerei zwingt die Betrachtenden hingegen dazu sich zu Bewegen und verdeutlicht, dass sie ausschliesslich in der Multiperspektive existiert. Die sich ständig verändernden Eindrücke unterschiedlicher Perspektiven müssen fortlaufend zu einem Gesamtbild zusammenfügt werden. Nur im Prozess der sich ständig verän- dernden Wahrnehmung entsteht das Bild, quasi in jedem Moment von Neuem. Darüber hinaus wird offenbar, dass die Attraktivität und Anziehungskraft von Farbe zu grossen Teilen dadurch entsteht wie Keilrahmen, Leinwand usw. sie „präsentieren“. Gerade Monochrome Gemälde hängen nicht alleine von der Farbe ab, sondern von der Balance aller Bestandteile. „die bilder bestehen aus material, der umgebung und dem betrachter“3 bringt es Klein selbst auf den Punkt.
Die Beschäftigung mit der Kontextabhängigkeit der Malerei ist in den letzten Jahren im Werk von Klein immer stärker zu Tage getreten. Neben den Faktoren, die die Wahrnehmung von Gemälden und denjenigen die die Wahrnehmung der Betrachtenden verändern, ist neuerdings das Interesse der Künstlerin zu beobachten auch konkrete Veränderungen durch Eingriffe von Sammlerinnen, Kuratoren und allgemein dem Kunstsystem zu thematisieren.
Das Werk gelb, Korrelation erhitzt, (2020) in dieser Ausstellung benennt die wechselseitigen Beziehungen, die die Werke von Martina Klein so schön zum Vorschein bringen, bereits im Titel. Sie hat zwanzig Gemälde, in deutlich bis kaum zu unterscheidenden kühlen Gelbtönen, in fünf verschiedenen Grössen, jedoch in gleicher Proportion gemalt. Aufgezogen sind diese Leinwände auf L-Förmigen Holzplatten. Sie stehen selbständig, eng zusammengerückt auf drei Metallregalen verteilt wie sie aus Warenlager bekannt sind. Es ergeben sich unweigerlich Überschneidungen bei den Blicken in und durch die Regale, Verdichtungen, die die Farbe Gelb in unterschiedlichen Facetten zum Leuchten bringt. Die Betrachtenden nehmen im Licht und Schatten der sich überla- gernden Gemälde eine sich ständig verändernde Farbpalette von Gelb wahr. Den meisten Betrachtenden wird es nach Abwägung der eigenen Erfahrungen im Ausstellungswesen logisch erscheinen, dass dies eine Installation sein muss. Obwohl das korrekt ist, ist es trotzdem nur die halbe Wahrheit. Denn die Akkumulation in den Gestellen basiert auf einer Verweigerung der Künstlerin die Gemälde im Raum zu platzieren. Normalerweise ist das spezifische Aufhängen der Gemälde in den jeweiligen Ausstellungsräumen ein sehr wichtiger Bestandteil der Werke von Martina Klein. Wenn immer möglich präsentiert Klein nicht einzelne Kunstwerke, die autonom von ihrer Umgebung zu betrachten sind, sondern sinnliche Erfahrungen, die Werk, Raum und Betrachtende als Einheit denken. Dies tut sie natürlich auch dadurch, dass sie sich weigert die Werke im Raum zu platzieren und sie stattdessen auf drei gewöhnlichen Warenregalen in einer Ecke abstellt. Da aber die Wände des grossen Raums komplett leer bleiben, empfindet das Publikum die Situation intuitiv als unvollendet. Die Arbeit verknüpft die Weigerung der Künstlerin ihre eigene Ausstellung fertigzudenken geschickt mit der Aufforderung ans Publikum diese Arbeit für sie zu übernehmen, sei es in ihrer Vorstellung oder konkret indem sie eine Arbeit erwerben. Denn die Bedingung eines Kaufs ist, dass das ausgewählte Gemälde an einem von der Käuferin oder dem Käufer ausgewählten Ort im Raum aufgehängt wird. Das Material dazu steht bereit.
So vollzieht sich schliesslich doch die Erwartung an die Malerei ihre Position an der Wand einnehmen zu müssen. Ganz dem doppelbödigen Denken von Klein entsprechend ist das Aufstellen der Werke aber auch auf dem Boden möglich. Wer sich dafür entscheidet wird unweigerlich darüber nachdenken, wie sich die eigene Handlung zu allem anderen im Raum in Beziehung setzt und welche Gestalt die Ausstellung durch diese Entscheidung annimmt. Auf der Rückseite des Gemäldes wird festgehalten, wer die Arbeit installiert hat, wer die Arbeit erschaffen hat und an welcher Position im Raum sie sich befindet. Damit wird die Käuferin oder der Käufer nicht bloss zum anonymen Besitzer eines Werks, sondern zum aktiven Gestalter der Ausstellung. Nimmt sich niemand dieser Aufgabe an, verbleiben die gelben Gemälde in ihrem Depot.Das Einbeziehen der Betrachtenden, ist einer der zentralen Aspekte der Werke von Martina Klein. Die Auseinandersetzung mit ihrem Werk ist gleichbedeutend mit fortlaufender, sich immer der Situation anzupassender Reflexion über die eigene Wahrnehmung, Standpunkte, Erwartungen, Situationen im Raum, Kunst- geschichte, die eigene Laune, das Licht usw. Mit dem Werk _gelb_, Korrelation erhitzt (2020) involviert Klein die Betrachtenden jedoch weit über die gedankliche Reflexion hinaus. Sie macht die Betrachtenden und die Käuferinnen und Käufer zu sichtbaren Kollaborateuren, die das Werk nach ihren eigenen Kriterien der Wahrnehmung, ihrem Raumempfinden und der Ökonomie in ihrer gesamten Disposition verändern. Klein zeigt damit, wie abhängig die Kunst vom Zusammenwirken der Kunstschaffenden, dem Publikum und dem Kunstmarkt, also vom gesamten Umfeld ist. Gemälde existieren nicht autonom. Viele Faktoren und Menschen sind an ihrer Entstehung beteiligt und verändern sie fortlaufend.
Das Werk _ausdehnen, (2020) bringt das Ausstellungswesen und die Wahrnehmung ebenfalls an die Grenzen. Ausgangspunkt ist wiederum die für Klein bereits klassische L-Förmige Supportkonstruktion. Auf ihrer waagrechten, von der bemalten Leinwand ebenfalls bedeckten Fläche, legt die Künstlerin einen noch frischen Farbklumpen. Er repräsentiert nicht nur die Farbe des Gemäldes, sondern er ist diese Farbe. Im vorliegenden Aggregatszustand reizt sie natürlich berührt zu werden, ihre Konsistenz zu erfahren und daran zu schnuppern. Die Unterschiede in der Wahrnehmung gegenüber ihrem Zustand auf der Leinwand sind eklatant. Es wird deutlich, dass ein Gemälde aus Rohstoffen besteht, denen eine lange Kette von Entscheidungen, Verarbeitungen, technischen Fertigkeiten und ästhetischen Beurteilungen zu Grunde liegen. Das Werk ist eine Weiterentwicklung der Arbeit Black and Green, (2018) die bereits die Elemente von Malerei, Objekt, Installation, Material, Konzeptkunst und Readymade vereinte. Statt dem Farbklumpen hatte Klein eine Dose auf dem Gemälde platziert. Frank Stella sagte einmal über seine Malerei: „Ich versuchte die Farbe so gut zu lassen, wie sie in der Dose war.“4 Marcel Duchamp behauptete sarkastisch, dass alle Gemälde nachgeholfene Readymade seien, da die Farben in den Tuben vorgefertigt seien. Das Werk _ ausdehnen, ( schwarz ) zeigt, dass Kleins Gemälde von Grund auf handgefertigt sind und eine Hommage an die Malerei und insbesondere an die Einzigartigkeit, Strahlkraft und Wandelbarkeit von Farbe ist. Auch wenn Klein alle Aspekte
der Malerei systematisch analysiert, folgt daraus eben nicht Konzeptkunst.
Die Farbe kommt weder aus der Dose noch wurde sie industriell vorgefertigt. Das Hervorstreichen der Unwägbarkeiten des Materials und ihrer Verarbeitung sind ein zentrales und vor allem konstitutives Element. Kleins Werke können ausschliesslich durch die sinnliche Wahrnehmung während der Betrachtung und während der Interaktion mit dem Werk im realen Raum erfahren werden. Beschreibung, Text oder Abbildungen können kein adäquater Ersatz dafür sein.
Die Wahrnehmung benötigt zudem Zeit. Klein hat sich den Flur für die Installation des Werks _sitzen_, (2019) ausgesucht. Der Flur verstärkt auch
hier das Element der Bewegung. Zum Gemälde, an dem sich raumbedingt viele Leute vorbeibewegen, um von einem Raum in den nächsten zu gelangen, gehört auch ein Klapphocker. Er suggeriert Unbeweglichkeit und Mobilität zugleich, legt den Betrachtenden aber auch deutlich nahe sich Zeit zu nehmen, eventuell sogar sich hinzusetzen und sich einer vertieften Anschauung hinzugeben. Dabei muss man dann wohl hinnehmen, dass man dauernd gestört wird und anderen störend den Platz versperrt. In dieser Situation gilt es nicht nur eine eigene Perspektive, sondern auch das richtige Timing für eine stille Betrachtung zu finden. Ruhe und Bewegung prallen hier konkret aufeinander und müssen ihren Ausgleich suchen, so wie es sie für die Kontemplation sinnlicher Empfindungen braucht. Die Werke von Martina Klein lassen uns alle diese omnipräsenten Wechselwirkungen mittels ihrer radikalen Malerei auf raffinierte Art und Weise erleben.