Hydrofeminismus & Ende der Menschheit

Sommerausstellung in der Fundaziun Nairs, Scuol-Tarasp, 27. Juni – 21. Oktober 2021.

Bewegen wir uns auf das Ende der Welt zu? Der Ausstellungstitel ist nur scheinbar beruhigend. Er ist einem Werk des dänischen Künstlerkollektivs #Superflex entliehen, dessen Arbeiten darüber spekulieren, wie sich die Welt nach einer apokalyptischen Zukunft weiterentwickeln könnte. Das Ende der Menschheit wäre demnachch nicht gleichbedeutend mit dem Ende der Welt, sondern der Fortlauf einer Evolution ohne Spezies Mensch. 

Unter diesem Motto versammelt die von Sabine Rusterholz Petko kuratierte Gruppenausstellung künstlerische Positionen, die die aktuelle Situation kritisch erforschen, Zustände und Wahrnehmungen der Natur und alternative Visionen des Umgangs mit ihr entwerfen. Während #PaulineJulier und #EmilijaSkarnulyte die gigantischen technischen Errungenschaften der Menschheit und damit zusammenhängende ökologische und soziale Folgen adressieren, nehmen #RikkaTauriainen und #MarieVelardi mögliche Gegenszenarien und Heilungsansätze in den Fokus. Trotz der aktuellen eher düsteren Prognose überwiegt in der Ausstellung der Optimismus. Dass neue Visionen zu ausbeuterischen Technologiegeschichte gefunden werden und ein harmonisches Zusammenwirken im Gefüge von Mensch, Natur und Technologie entstehen kann. 

Emilija Škarnulyté, “ T 1/2″ 2019: immersive Videoarbeit: Seit Jahren erforscht die Künstlerin technologische Megastrukturen, wie etwas eine stillgelegte NATO-Militärbasis aus dem Kalten Krieg, den Teilchenbeschleuniger om CERN, die Kernkraftwerke in Litauen oder das Super-kamiokande Neutrino-Observatorium in Japan.

Hydrofeminismus

Auch #RikkaTauriainen (*1979) beschäftigt sich mit dem Wasserphänomenen. In ihren Arbeiten nimmt sie Bezug zum Konzept des Hydrofeminismus. Ausgehend von der Vorstellung, die unter anderen von der Kultur- und Gendertheoretikerin Astrida Neimanis geprägt wurde und davon ausgeht, dass der menschliche Körper zu grossen Teilen aus Wasser besteht und wir durch das Wasser mit anderen Lebewesen, mit Gewässern und der Erde verbunden sind, entwickelte die Künstlerin einen umfangreichen Werkkomplex. In der Ausstellung zeigt sie schwebende PET-Objekte mit dem Titel «Confluencas» (2021).

Sie fangen die Form einer welligen Wasseroberfläche ein, erinnern an digitale Renderings, an flüssige Screens und tragen gleichzeitig die menschliche Form in sich. Die raumgreifenden Elemente stehen in einer engen Wechselwirkung mit dem Ausstellungsraum, mit dem der Innund der Geschcihte von Nairs als ehemaliges Badehaus. Die Oberfläche der Reliefs verzerrt zudem die Wahrnehmung, das Licht bricht auf dem PET und reflektiert den umliegenden Raum auf seiner Oberfläche. Damit schafft die Künstlerin einen immersiven Raum voller Verbindungen von fester und ephemerer Materie.  PET gilt dabei als eines der Materialien, welches die Meere stark belasten. In den Arbeiten sind insofern viele Gegensätze angelegt: Natürliches und Toxisches, Bedrohung und Wellness, Menschliches und Unmenschliches. Im Raum stehen viele Fragen und Assoziationen: Wie sähe unsere Welt aus wenn wir uns als durchlässigen Teil des Planeten, als «Bodies of Water» und als verbindendes Element zu unserem Planeten verstehen würden? Würden wir dann mehr Sorge tragen zu ihr? Und würde diese Wahrnehmung des Miteinanders eine alternative Logik des Zusammenlebens hervorrufen? 

«It is not the End of the World»

Die LED-Lichtinstallation «It is not the End of the World» (2019) des Künstlerkollektives #Superlfex erinnert an eine kommerzielle Werbetafel und assoziiert so die Ära des ungezügelten Konsums, der mit der industriellen Produktion und dem globalisierten Warenhandel aufkam. Was zunächst wie Beschwichtigungsrhetorik von Leugner*innen des Klimawandels klingt, ist in Wirklichkeit eine Provokation. Das Publikum ist eingeladen, über eine aus menschlicher Sicht apokalyptische Zukunft der Welt ohne menschliches Leben nachzudenken. Menschen in unserer heutigen Form haben diesen Planeten nur für einen Zeitraum von 300.000 Jahren – weniger als 0.1% der Erdgeschichte – bevölkert. Während dieses relativ kurzen Aufenthalts haben wir zwar einen riesigen Fussabdruck auf dem gesamten Ökosystem hinterlassen, der nach dem möglichen Niedergang der Menschheit im Laufe der nächsten Jahrmillionen jedoch auch wieder verschwinden könnte. Im Laufe der Geschichte hat die erde ihre Fähigkeit bewiesen, das Leben immer wieder neu zu definieren, und sie wird dies höchstwahrscheinlich auch in einer nachmenschlichen Ära tun. Vor diesem Hintergrund wirkt der Slogan wie ein ironischer Kommentar zu einer allzu menschenzentrierten Sichtweise. Viel eher wäre eine posthumane Ära als eine lebendige Zukunft mit vielfältigen und vielleicht auch menschenähnlichen Lebensformen vorstellbar. 
(Text: Auszüge Nairs)